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Im Paradies

Posted by on 11. Dezember 2013

Auf der Reise durch Äthiopien vergeht fast kein Kilometer bei dem ich nicht regelmäßig hupen muss. Menschen, Esel, Hühner, Ziegen – alles überquert ohne nach rechts und links zu schauen die Straße. Ohne Hupe ist es kaum möglich auf sich aufmerksam zu machen. Als ich fast einen Esel ramme und die Hupe durchgehend gedrückt halte, kommt was kommen musste. Die Hupe quittiert ihren Dienst und verabschiedet sich ins Rentendasein. Dazu kommt, dass wir Addis erst in der Nacht erreichen. Nachtfahrten in afrikanischen Städten sind extrem anstrengend. Autos fahren ohne Licht, auf den häufig nicht asphaltierten Straßen versammeln sich Mensch, Tier und Staub. Das Ganze ohne Hupe zu meistern ist schon eine Herausforderung. In Addis Ababa machen wir noch einmal einen Zwischenstopp bei Wim`s Holland House. Hier können wir die Hupe austauschen und ein paar Kleinigkeiten auf Vordermann bringen. Nach zwei Tagen fahren wir weiter durch das äthiopische Hochland, welches sich immer mehr in eine Art Dschungel entwickelt. Alles ist grün. Nur die Straße wird immer schlechter. Die Schlaglöcher auf der Strecke werden tiefer und im Schnitt fahren wir zwischen 30 und 40 Kilometer pro Stunde. Als wir eines Morgens aufwachen und früh weiter möchten, bemerke ich, dass der Landy etwas Schlagseite hat. Wir haben unseren ersten Platten. Eine große Schraube hat sich ins Profil gebohrt und über Nacht die Luft aus dem Hinterreifen gelassen. Ruckzuck ist der Ersatzreifen montiert. Für diesen Fall haben wir schließlich drei Ersatzreifen dabei. Die Reparatur werde ich bei Henry vornehmen.

Gegen 13:00 Uhr erreichen wir den Grenzposten Moyale. Als wir gerade beim äthiopischen Zoll parken und die Ausreiseformalitäten erledigen möchten, rauscht ein mit Menschen prallgefüllter weißer Landrover Defender heran. Es sind Luka und Simon, die uns zusammen mit ihren Freunden empfangen. Die Freude ist rießig und die Überraschung gelungen. Ich wusste zwar, dass die Jungs uns empfangen werden, aber dass sie sogar auf die äthiopische Seite durchkommen, hätte ich nicht gedacht. Wir erledigen schnell alle Formalitäten und reisen in Kenia ein. Der kenianische Grenzbeamte fragt mich, ob ich einen Generator auf dem Auto transportiere, das wäre nämlich nicht erlaubt. Ich erkläre ihm, dass der „Generator“ unser Dachzelt ist und dass man damit nur unter besonderen Umständen Energie erzeugen kann. Nach ein paar kleinen Diskussionen erklärt ihm Luka auf Suaheli, dass wir „Family“ sind und schon alles ok ist – was er kaum glauben kann. Dann geht’s weiter. Die Jungs haben ein gutes Nachtlager herausgesucht. Eine einfache Pension, wo wir sicher unsere Autos abstellen, ein Bier genießen und Billard spielen können. Hier verbringen wir den Rest des Nachmittages und die Nacht. Schon abends stellt sich in ersten Gesprächen heraus, dass die Sicherheitslage in Moyale zurzeit schwierig ist. Gerüchte gehen um, es habe Zwischenfälle auf der einzigen Verbindungsstraße von Moyale nach Marsabit gegeben. Aus diesem Grund gehen wir am nächsten Morgen gleich um 06:00 Uhr auf die Polizeistation, um genauere Details zu erfahren. Die Polizisten berichten uns, dass auf der Strecke zwei beladene Lastwagen in Brand gesetzt wurden. Einer davon transportierte wohl wichtige Medikamente in großem Wert. Die Region ist bekannt für anhaltende Stammesauseinandersetzungen zwischen den Boranas und Gabras – immer wieder gibt es Tote und Verletzte. Die Polizisten raten uns dringend davon ab, die Straße zu befahren. Es werden Racheaktionen vermutet. Anscheinend wurden bereits Strommasten zur Straßenblockade umgeworfen. Die ganze Stadt ist wie gelähmt. Es fahren keine Busse. Die Menschen versammeln sich auf den Straßen und diskutieren. Auch wir suchen nach einer Lösung. Es gäbe eine weitere Straße, die aber letztendlich bis runter nach Isiolo befahren werden müsste, so dass sich ein Umweg von ca. 2-3 Tagen ergeben würde. Wir beschließen, die Situation bis zum nächsten Tag abzuwarten, evtl. ergibt sich auch die Möglichkeit in einem von der Polizei eskortierten Konvoi mitzufahren. Doch es tut sich nichts. Den Nachmittag verbringen wir damit, eine Ziege ausfindig zu machen, die wir schlachten. Abends wird dann gegrillt. Am nächsten Morgen stehen wir wieder um sechs Uhr an der Polizeistation. Der Bus fährt wohl los, aber auf der langen Strecke über Isiolo. Die Straße ist nach wie vor nicht passierbar und die Polizei kann uns auch nicht eskortieren. Wir merken, dass die Polizisten nur von den Gerüchten berichten, die wir bereits kennen und selbst Angst haben. Keiner von ihnen ist die Strecke selbst gefahren und kennt die Zustände vor Ort. Der lokal ansässige Pfarrer ist wohl gestern abend durchgekommen. Leider können wir ihn aber nicht antreffen und die Polizei weiß nichts davon. Nach reiflichen Überlegungen entscheiden wir uns, die Strecke zu fahren.  Wir erzählen im Ort keinem davon und fahren nahezu unbemerkt los. Wir möchten nicht, dass sich per Handy herumspricht, dass jemand auf der Route durchkommen wird. Unser einziges Problem ist, dass Luka und Simon zu einem Teil zum Stamm der Boranas angehören und die erste zu bewältigende Strecke Gabra-Region ist. Weiterhin haben wir einen guten Freund der beiden dabei, der mit nach Marsabit muss. Sein Stamm ist wohl auch mit den Gabras verfeindet, so dass wir ihn im Kofferraum meines Landys verstecken müssen. Papa geht in den weißen Landrover und ich fahre mit Luka in meinem. Wir entscheiden uns dazu, mit meinem Landrover vorzufahren. Er sieht etwas militärisch aus und Luka ist sich sicher, dass die Menschen denken, er könnte mit Polizisten gefüllt sein. Die ersten Kilometer rasen wir wie die Bekloppten über die mit Schlaglöchern übersäte Straße – was sich schnell als Fehler herausstellt. Schon nach wenigen Kilometern sind meine beiden hinteren Stoßdämpfer gebrochen. Wir müssen halten und die Stoßdämpfer demontieren. Zum ersten Mal fühle ich mich nicht sicher. Ich schaue mich die ganze Zeit um und hoffe, dass uns niemand beobachtet. Die Straße ist total verlassen aber gesäumt von Büschen und Sträuchern. Nachdem wir beide Stoßdämpfer demontiert haben, fahren wir weiter. Doch der Landy hat keine Stabilität mehr. Schon bei 20 km/h schaukelt er sich gewaltig auf. Bei dieser Geschwindigkeit brauchen wir sicherlich 12-14 Stunden für die Strecke. Da ist guter Rat teuer. Wir halten wieder an. Luka kommt die Idee einen hinteren Stoßdämpfer von Heinis Landrover zu nutzen, so dass beide Autos jeweils mit einem hinteren Stoßdämpfer fahren. Zusätzlich fixieren wir die Achse mit Seilen, so dass mehr Stabilität gewährleistet ist. Zum Glück haben wir die gleichen Autos und können so nach Belieben die Ersatzteile austauschen. Es funktioniert. Wir können wieder schneller fahren. Dann kommen wir an die Straßenblockade. Strommasten wurden tatsächlich gefällt und auf die Straße gelegt. Als wir heranfahren, rennen die Menschen weg. Sie denken wohl wirklich wir sind vom Militär. Luka sagt auch, dass die Menschen denken, dass nur mutige, starke oder bewaffnete Männer die Straße befahren würden, wenn seit Tagen kein Auto mehr durchgekommen ist. Somit können wir ohne Kontrolle um die Strommasten herumfahren. Wir werden nicht angehalten. Kurz darauf fahren wir an dem ersten ausgebrannten Lastwagen vorbei. Es ist ein trauriges Bild. Nach ein paar Kilometern folgt der zweite, ursprünglich mit Medikamenten beladene, LKW. Wir fahren zügig vorbei. Unser Sozius liegt währenddessen im Kofferraum unter Papas Schlafsack versteckt und kommt nur selten zum Vorschein. Als wir nach ein paar Stunden den Ort Turbi erreichen sind wir in Sicherheit. Der Ort gehört zur Region der Boranas, dessen Stamm Luka und Simon angehören. Hier halten wir und stoßen in einer Hütte mit einem Bier auf unsere erfolgreich zurückgelegte Strecke an. Die Menschen können es kaum fassen, dass wir die Route gefahren sind. Ein paar Militärs wollen genaue Auskunft über die Lage vor Ort. Von hier ab sind es zwar noch einige Kilometer, doch ab sofort ändert sich die Situation im Auto. Alle sind erleichtert. Der Rest der Strecke wird geplaudert und Musik gehört.

Die letzten Kilometer vor Marsabit sind bereits von den Chinesen geteert worden. Wir donnern wie Ritter, die von einem Kreuzzug zurückkommen, über den Asphalt und erreichen Marsabit am frühen Abend. Der Empfang ist überwältigend. Heini ist gottfroh, dass wir gesund angekommen sind. Die Mädels haben einen Kuchen mit Aufschrift für uns gebacken und sogar Miriam und der kleine Adano sind anwesend. Es ist schön wieder in Marsabit zu sein. Mittlerweile ist es eine Art zweite Heimat von mir geworden. Alles ist sehr vertraut. Nach ca. 12.000 Kilometern und auf den Tag genau 11 Wochen sind wir in Kenia angekommen. Wir haben es geschafft!

Ich erkenne Marsabit nicht wieder. Meistens war ich in der Zeit von Juli, August oder September hier und alles war karg und trocken. Das Wasser war knapp. Jetzt ist alles grün. Die Kakteen blühen, das Gras ist saftig, die Rinder fett. Die Wassertanks sind vom letzten Regen prallgefüllt und wir können eine Dusche nehmen. Es ist wie im Paradies hier. Unglaublich wie Regen und somit Wasser die Natur verändern. Mit dem Wasser kommt das Leben. Hier sieht man es am deutlichsten. Die folgenden Tage reparieren wir die Stoßdämpfer, flicken den Reifen und optimieren ein paar Dinge, die uns den Aufenthalt im Auto erleichtern. Wir bauen eine externe Halterung für die Gasflasche, so dass wir nicht immer alles ausräumen müssen und mal schnell einen Kaffee kochen können. Da es zurzeit so viel Wasser gibt, produziert Henry seine Steine hier in Marsabit. Normalerweise fertigt er sie in Maikona in der Chalbi-Wüste. Dort gibt es viel Sand und Wasser, doch der Transport von dort ist aufwendig und teuer.  Auch eine Menge Schulbänke und Stühle stehen bereits für den Abtransport bereit. Sie werden nach North Horr in die Wüste zu einer neu gebauten Schule geliefert. Eine weitere Baustelle befindet sich in Illeret am Lake Turkana – ganz oben an der äthiopischen Grenze. Hierhin möchte Heini schon bald aufbrechen. Mit uns und unserem Landy. Doch das ist eine andere Geschichte.

 

UPDATE: Abends verfolgen wir die Nachrichten im Fernsehen. Die Lage in Moyale verschlimmerte sich drastisch. Bereits einen Tag nach unserer Abreise wurde in der Stadt geschossen. Kurz darauf starben mehr als 40 Menschen. Die Grenze wurde für mehr als eine Woche geschlossen ist aber nun wieder geöffnet. Unter diesem Aspekt sind wir heilfroh, gesund angekommen zu sein. Wir haben richtig entschieden, so schnell wie möglich die Route zu befahren. Auch Polizisten kamen bei Schusswechseln ums Leben und zurzeit befasst sich die kenianische Regierung mit den Problemen im „hohen Norden“. Wir hoffen, dass sich die Lage wieder beruhigt und sich nicht auf weitere Teile des Landes überträgt. Gestern kam ein Tourist mit seinem Motorrad auf Henrys Campsite an und berichtete von einer problemlosen Durchfahrt. Hoffen wir, dass es dabei bleibt.

 

8 Responses to Im Paradies

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