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Illeret

Posted by on 17. Dezember 2013

Nach ein paar ersten Tagen in Marsabit machen wir uns nach Illeret auf. Illeret ist ein kleines Fischerdörfchen am Lake Turkana ganz im Norden an der äthiopischen Grenze. Dort hat Henry gerade eine Baustelle. Er errichtet vor Ort im Dienst der internationalen Malteser eine Primary School, Wassertanks und Toiletten. Der Weg dahin ist lang und beschwerlich. Zwar sind lediglich 400 km zu bewältigen, doch der Weg führt durch die heiße Chalbi-Wüste und die Straßen sind teilweise in desaströsem Zustand. An einem Tag ist die Strecke nur schwer zu schaffen. Daher planen wir es gemütlicher. Wir möchten mit dem Landy unterwegs offroad campen, so dass wir für Hin- und Rückweg jeweils eine Nacht einplanen. Die gebrochenen Stoßdämpfer haben wir bereits durch neue Standard-Stoßdämpfer ersetzt, so dass der Reise nichts mehr im Wege steht. Zusätzlich bepacken wir den Landy mit ausreichend Wasser und natürlich Bier. Am Freitag morgen besorgen wir in der Stadt noch eine große Kiste Mangos und Bananen, die wir Pfarrer Florian nach Illeret mitbringen möchten.

Der Weg führt von der Hochebene Marsabits (die Stadt liegt auf ca. 1400m) hinunter in die Tiefebene über steinige und wellblechartige Pisten. Diese Straßen fordern dem Auto alles ab. Bei den tief ausgefahrenen Wellblechpisten merken wir schnell, dass die härteren Federn nicht für diese Straßen geeignet sind. Der Landy hat Mühe seine Stabilität bei höherer Geschwindigkeit zu halten und wir beschließen mehr Luft aus den Reifen zu lassen, um die harten Schläge weicher abzufangen, was sich als erfolgreich herausstellt. Wir machen einen kurzen Abstecher in Maikona. Maikona ist ein kleines Hüttendorf am Rande der Chalbi-Wüste. Hier fertigt Henry seit langer Zeit seine Steine, da genügend Sand und Wasser vorhanden ist. Lediglich Zement und Diesel für den Generator müssen zugekauft werden. Wir waren schon öfters in Maikona und noch immer ist das Dorf geprägt von runden, kleinen Hütten. Ziegen- und Rinderhaltung prägen den Alltag der Menschen. Mittlerweile sieht man ein paar Autos in dem kleinen Dorf, doch Leben und Wohlstand haben einen sehr niedrigen Standard. Nach der Regenzeit schießt Wasser aus den Hochebenen hinunter in die Chalbi-Wüste und macht diese für einen größeren Zeitraum unbefahrbar. Hier gibt es keine Straßen. Teilweise zeigen ausgefahrene Sandpisten den Streckenverlauf an. Vor Ort erkundigen wir uns nach dem aktuellen Zustand der Pisten. Wir finden einen Fahrer, der vor ein paar Tagen die Wüste als Erster nach der Regenzeit ohne größere Zwischenfälle durchquerte. Da es seither nicht mehr geregnet hat, probieren wir dieselbe Route. Wir orientieren uns an der einzigen verfügbaren Spur und folgen ihr. Alles klappt bestens und wir bleiben nirgends stecken. Selbst zu dieser Jahreszeit ist es in der Mittagssonne unerträglich heiß. Wir durchqueren weite, weiße Salzfelder, DJ Henry legt dazu deutsche Weihnachtslieder auf, so dass bei über 40 Grad aus den Lautsprechern „Leise rieselt der Schnee“ und „Stille Nacht“ ertönt. Henry und ich singen lautstark mit und würde uns in dieser Einöde jemand sehen… naja lassen wir das… vielleicht hatten wir auch einen Hitzschlag. Am Abend erreichen wir die Mission in North Horr und werden von Father Anthony herzlich empfangen. Pfarrer Anthon kommt aus Augsburg und lebt seit vielen Jahren in North Horr. Nach einem gemeinsamen Bier aus bayerischen Krügen wollen wir aber noch ein wenig weiter, um unser Nachtcamp außerhalb von North Horr zu errichten. Nach einer weiteren Stunde Autofahrt machen wir Rast unter einem afrikanischen Akazienbaum, entzünden ein gemütliches Lagerfeuer und kochen uns etwas Leckeres zu Abend. In dieser Idylle ist es nachts stockfinster, man hört keine Autos, keinen Lärm. Nur die Grillen summen  vor sich hin. So schlafen wir beruhigt ein. Am nächsten Tag brechen wir früh morgens Richtung Illeret auf. Entlang des Sibiloi National Park befahren wir steinige Pisten und erreichen Illeret am schönen Turkanasee am frühen Nachmittag. Das kleine Dorf ist geprägt von Rundhütten, die Einwohner sind einfachste Fischer. Alles ist sehr rudimentär. Henry begutachtet den Verlauf seiner Baustelle. Die Primary School ist nahezu fertig gestellt. Wenn alles klappt, werden die Arbeiter noch vor Weihnachten mit allem fertig, so dass der LKW alle Arbeitsgeräte nach Marsabit zurückbringen kann. Bisher gibt es an diesem Ort keine Schule und die Errichtung einer Infrastruktur in dieser Einöde ist langatmig und kostenintensiv.

Am Abend werden wir von Günter und Stefan, die hier für die internationalen Malteser Aufbauarbeit leisten und für welche Henry arbeitet, zum Abendessen eingeladen. Zusätzlich mit Father Florian sind die Drei die einzigsten Europäer hier. Nach dem feinen Abendessen schlagen wir unser Nachtlager direkt am See auf und am nächsten Morgen beschließen wir vor unserer Abreise noch in die kleine Kirche zu gehen. Es ist der zweite Advent und Father Florian hält eine schöne Messe. Die Menschen kommen zahlreich und wir werden sogar persönlich begrüßt. Nackte Kinder rennen zwischen den Bänken herum und fühlen sich wohl. Obwohl ich kein Wort verstehe (die Messe wird auf Suaheli gehalten und von einem Dolmetscher zusätzlich in die lokale Stammessprache übersetzt) vergeht die Zeit von knapp drei Stunden durch die schönen Gesänge und Rhythmen wie im Flug. Es ist komplett anders wie in einer deutschen Kirche. Die Religion wird hier regelrecht gelebt, sie ist Bestandteil des täglichen Lebens dieser Menschen hier und für sie ist die Kirche ein zweites zu Hause.

Bevor wir uns nach der Kirche auf den Rückweg aufmachen, möchte Heini noch ein paar kleine Fische einfangen, welche wir nach North Horr transportieren sollen. Die Pfarrer dort versuchen gerade einen neu gebauten Teich mit ein paar Fischen anzureichern. Das „Projekt“ ist bisher aber mehr oder weniger gescheitert, da vom letzten Fischtransport lediglich ein Fisch überlebt hat. Dieser wurde von Father Anthony „Henry“ getauft. Nun möchte der große Henry dem kleinen Henry etwas Gesellschaft beschaffen, so dass wir einen Wassercontainer mit mehr als 40 kleinen Fischen füllen. Während der ganzen Fahrt über wird die beste Taktik eines Fischtransports über diese weite Distanz und unter diesen extremen Bedingungen diskutiert. Anscheinend klar ist, dass den Fischen auf der Fahrt Sauerstoff zugeführt werden muss, so dass Henry alle paar Minuten mit einem Schlauch in das Wasser bläst. Es ist ein köstliches Schauspiel. Papa und Henry diskutieren unentwegt über Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt etc. während Henry immer wieder sein Reden unterbricht und mit dem Schlauch ins Wasser pustet. Als wir unterwegs zu einer kurzen Pause anhalten, kommt die Idee den Luftkompressor des Landys zu nutzen, da das dauerhafte Pusten wohl doch zu anstrengend ist. Auf der Weiterfahrt springt von nun an immer wieder der Kompressor an und donnert mit voller Wucht eine ordentliche Portion Luft in die Wassertonne. Zusätzlich werden zwei Kühlakkus in die Tonne gegeben, damit die Temperatur aufrecht erhalten wird. Schließlich soll dies der erste große und erfolgreiche Fischtransport in die Wüste nach North Horr werden. Als wir am Abend unser nächstes Nachtlager aufstellen, schwimmen alle Fische auf dem Rücken. Der Transport ist gescheitert. Der Grund wird nach wie vor diskutiert und ein weiterer Versuch soll schon bald stattfinden.  Evtl. hat ja der ein oder andere Leser ein paar hilfreiche Tipps für einen erfolgreichen Wüsten-Fisch-Transport.

Zurück in Marsabit müssen wir den Landy erneut reparieren. Ein Stoßdämpfer ist in der Mitte auseinandergebrochen, der andere leckt bereits und verliert Öl. Für diese Straßen sind nur wenige Fahrzeuge geschaffen – eigentlich haben sich in den letzten Jahren nur Landrover und Landcruiser bewährt. Alles andere ist nach spätestens 10 Jahren endgültig hinüber. Nach jeder größeren Reise muss das Auto neu durchgecheckt werden. Hier brechen selbst bei neuen, stabilen Landcruisern ganze Achsen, da ist es wichtig, dass man selbst Reparaturarbeiten vornehmen kann und Ersatzteile auf Lager hat. Als ich eines Mittags gerade am Auto schraube, herrscht plötzlich unter den Arbeitern eine ungewohnte Aufregung. Anscheinend befindet sich im Hühnerstall eine Schlange. Ich hole sofort meine Kamera und renne zum Stall. Tatsächlich hat sich eine „Spitting Cobra“ (Speikobra) oben im Gebälk versteckt und wartet auf junge Küken. Die Speikobra ist eine hochgiftige Schlange, welche ihr Opfer meistens durch einen gezielten Giftstrahl in die Augen erblinden lässt, um dann im Nachhinein das Opfer durch einen Giftbiss zu töten. Unsere Kobra ist ganz schön aufgebracht, denn die Arbeiter versuchen mit langen Eisenstangen auf die Schlange einzuschlagen. Immer wieder rennen sie davon. Als die Kobra schon schwer verletzt ist und auf den Boden hinunterfällt, ist sie immer noch sehr angriffslustig. Sie schlängelt sich aus dem Hühnerstall hinaus, so dass alle Herumstehenden fluchtartig das Weite suchen. Dennoch schaffen es die Arbeiter nach einer Weile die Schlange zu töten. Nachdem sie endgültig ausgezuckt hat, vermessen wir sie und kommen auf eine bemerkenswerte Länge von 1,60 Meter. Das Adrenalin steckt uns allen noch stundenlang im Blut.

Ein paar Tage später werde ich zu einer traditionellen Hochzeit eingeladen. Zusammen mit den Jungs (Simon, Luka und Martin) fahre ich abends in die Stadt. Die Gäste und der Bräutigam sind bereits anwesend, während sich nach einiger Zeit manche Frauen und Männer in Autos aufmachen, um die Braut zu holen. Ein Gitarrist spielt und singt traditionelle Melodien während gleichzeitig ein Trommler wie wild seine Buschtrommeln bearbeitet. Alle Anwesenden tanzen traditionelle Tänze, bei denen sie sich nur leicht von einem Fuß auf den anderen bewegen und währenddessen im Rhythmus klatschen. Die Musik setzt sie dabei in eine Art Ekstase, es ist faszinierend das Spektakel zu beobachten. Wie in dieser Region üblich gibt es Ziegenfleisch. Es mussten wohl so einige Ziegen für diese Hochzeit ihr Leben lassen, denn eigentlich ist in jedem gereichten Essensgang etwas „Goat“ enthalten. Selbst beim kleinen Snack danach gibt es neben gerösteten Weizenkernen etwas zugemischtes Ziegenfleisch. Die Tiere werden frisch am selben Tag geschlachtet. Es wird alles verwertet und entweder auf den Grill gelegt oder als Suppe gekocht. Die Suppe stellt dabei eine besondere Delikatesse dar, sie gibt es für die Anwesenden ganz am Schluss nachdem alles andere verzehrt ist. Magen, Herz, Leber, Gedärme – alles kommt auf den Grill. Die Hochzeit hat zwischenzeitlich ihren Höhepunkt erreicht. Überall wird gegessen, getrunken, getanzt. Es gibt keinen Alkohol, nur der Bräutigam kippt kurz vor der Ankunft der Braut bei uns kurz einen schnellen Whiskey heimlich hinunter. Ein weiteres Hauptnahrungsmittel, so wie es scheint, ist das sogenannte „Miraa“ – grüne Blätter des Kathstrauches. Es stellt hier in Kenia eine Art Alltagsdroge dar. Vor allem junge Lastwagenfahrer konsumieren die Droge sehr regelmäßig, da sie über lange Zeit aufputschend wirkt. Nach ein paar Stunden stellt sich allerdings Müdigkeit ein, die hier oft zu schlimmen Unfällen führt. Nichtsdestotrotz konsumieren sehr viele Gäste auf der Hochzeit diese Blätter. Denn heute wird bis tief in die Nacht hinein gefeiert.

 

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